Über die Auflehnung der Bauern des Rügenwalder Amtes gegen die Obrigkeit um das Jahr 1796

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Im April 2004 erschien in den Baltischen Studien der Artikel „Über die Auflehnung der Bauern des Rügenwalder Amtes gegen die Obrigkeit um das Jahr 1796“ von Dr. Ulrich Neitzel.

Im Bereich des Landes Schlawe gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sich die Untertanen jemals gegen die Obrigkeit in einer gemeinsamen Aktion geschlossen aufgelehnt hätten. Als ein frühes Beispiel mag vielleicht die Geschichte des Raubritters Winterfeld gelten, der um das Jahr 1496 wegen seiner Untaten von Bauern aufgegriffen, der Stadt Schlawe überantwortet und dort geköpft wurde. Möglicherweise hat es mehr Fälle gegeben als uns die Geschichtsbücher überliefert haben. Es war aber sicher nicht opportun, über solche Dinge ausführlich zu berichten, um den Menschen nicht noch unnötig Anregungen zu Protesten zu geben. Nun wurde vor kurzem im Geheimen Staatsarchiv in Berlin ein Vorfall entdeckt, der kaum bekannt sein dürfte. Wenn nicht anders erwähnt, stammen alle Informationen und Zitate aus dieser Akte.

Man schrieb das Jahr 1796. Unter den Bauern des Rügenwalder Amtes gärte es, offensichtlich schon seit mehreren Jahren, aber es war bisher nur beim Murren geblieben und nicht zu großen gemeinsamen Aktionen gekommen. Grund der Unzufriedenheit waren die Hand- und Spann-Dienste, die die Bauern gegenüber den Königlichen Ackerwerken (staatlichen Domänen) leisten mussten. Diese Dienste hatte es zwar schon immer gegeben, solange die Menschen zurückdenken konnten. Aber der Druck war in den letzten Jahren immer stärker, die Belastungen immer unerträglicher geworden. Während die Bauern in alter Zeit weitgehend als frei galten, hatte sich ihre Lage immer weiter verschlechtert. In der „Bauern- und Schäfer-Ordnung“ von 1616 wurde die Leibeigenschaft auch offiziell verankert: die Bauern waren gezwungen, „Frondienste ohne Limimation und Gewissheit zu leisten“. Zwar bemühten sich die preußischen Könige, hier Erleichterungen zu schaffen. 1719 wurde die Leibeigenschaft zwar offiziell abgeschafft, aber in der Praxis änderte sich nichts. Auch Friedrich der große verordnete im Edikt vom 12.8.1749, die Frondienste herabzusetzen. Aber der Adel war derart einflussreich, dass alle diese Verordnungen nicht umgesetzt werden konnten. Vor allem der Adel auf den Gütern sah dadurch seine Lebensgrundlage bedroht. Dessen Meinung illustriert das folgende Zitat:“ Der Standpunkt der adeligen Stände war aus der Antwort des Königs von 1749 auf eine Eingabe der Schlawer Stände zu erkennen. Die Stände gaben zu, dass die Dienste der Bauern seit der Hufenklassifikation von 1717 vermehrt seien. Aber wenn man die Dienste beschränke, dann werde der Bauer dadurch noch fauler und liederlicher, und man werde nichts profitieren. Er müsste eben soviel Gesinde und Vieh halten. Höchstens wolle man ihm die in den Ämtern gewährten Ruhestunden geben und ihn nicht wie an den festgesetzten Tagen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang arbeiten lassen. Die Beschränkungen der Dienste führe aber auch dahin, dass die Gutsbesitzer nicht mehr alle Äcker in Kultur nehmen könnten, was sich bereits auf den königlichen Vorwerken gezeigt habe.“ Da aber der Adel auch die obere Verwaltung des Staates weitestgehend beherrschte, verteidigte er seine alten Rechte äußerst zähe und war nicht bereit, die Gesetze des Königs ohne weiteres allgemein durchzusetzen. Am 23.9.1763 erging eine erneute Verordnung, in der wiederum die Leibeigenschaft formal abgeschafft wurde; man sprach hinfort nur noch von „Erbunterthanen“. Aber die Bindungen und Dienste blieben: wie z. B. die Schollenpflichtigkeit, Gesindezwangsdienste der Bauernkinder, eingeschränktes Besitz- und Erbrecht und vor allem die ungemessenen Dienste. Diese Bauern hatten den Hof auf Lebenszeit zur Nutznießung, gegen festgesetzte Abgaben, Dienste und Leistungen (man sprach deshalb auch von Lass-Bauern). Sie durften allerdings den Hof innerhalb der Familien weitergeben, so dass mancher Name über längere Zeit auf einem solchen Hof nachzuweisen ist, zuweilen sogar über Jahrhunderte. Diese Höfe konnten aber auch, wenn einer seinen Pflichten nicht nachkam, einem anderen gegeben werden.

Mit der Gründung des preußischen Staates hatte auch für das Rügenwalder Amt eine neue Ära begonnen. Während zu herzoglicher und brandenburg-kurfürstlicher Zeit die Verwaltung ein Amtsvogt, zuletzt ein Amtshauptmann, im allgemeinen ein Adeliger inne hatte, vergab der preußische König im Jahre 1723 das Amt an einen Generalpächter, der für eine jährlich festgelegte Summe den Zuschlag bekam, zur Beginn des Vertrages sogar eine Kaution hinterlegen musste. Dieser Generalpächter musste dafür sorgen, dass das Geld hereinkam, und verpachtete deshalb die Ackerwerke weiter an Unterpächter (auch Verwalter oder Arrendatoren genannt). Ziel war natürlich, die Einkünfte aus dem Amt zu erhöhen. Im Zuge dieser Entwicklungen wurden auch die Hand- und Spann-Dienste in den Jahren 1731 und 1742 eindeutiger definiert und verschärft. In vielen Facetten und Auswirkungen erinnerten die Hand- und Spanndienste noch stark an die Leibeigenschaft, zumal reichlich Raum für Pressionen und Unklarheiten gelassen war.

Die Bauern hatten bereits um 1785 herum gegenüber dem Generalpächter und den übergeordneten Behörden ihre Unzufriedenheit kund getan, waren aber schroff und unmißverständlich abgewiesen worden. Nun aber, zehn Jahre später, war man nicht mehr gewillt, sich einfach abspeisen zu lassen. Man war bei dem Generalpächter auf dem Schloß Rügenwalde vorstellig geworden, hatte Eingaben gemacht und Briefe geschrieben, aber trotz vieler Mühe nichts erreicht. Dem Generalpächter, dem Amtsrat Goeden, waren diese Unruhen also wohl bekannt. Später schrieb er: „schon 1795 war der Ziemer mit dem Bauern Zende aus Schlawin bey mich und baten beyde um einen Paß, mit ihren eigenen Schweinen aus der Mast nach Dantzig zum Verkauf treiben zu wollen.“ Sie bekamen die Einwilligung; sie hatten aber außerdem noch eine Partie Schweine dazugekauft, um zusätzlich an Geld zu kommen. Man war auch schon in Stettin gewesen um vorzufühlen, an den man sich wohl wenden könnte. Schließlich war man zu dem Ergebnis gekommen, am aussichtsreichsten wäre es, sich an den König höchstpersönlich zu wenden, ja bei ihm um eine Audienz zu bitten. Für solche Expeditonen, die dmals noch recht beschwerlich waren, brauchte man Geld. Man holte sich über die Dorfältesten das Einverständnis aller Bauern und Kossäten von 40 Dörfern im Amt ein und ließ sich von jedem 12 Schillinge ins Haus bringen, um damit die Reise nach Berlin zu finanzieren. Hauptakteure waren zunächst: 1) Erdmann Ziemer, geboren etwa 1750, zuerst 1775 in Järshagen als Straßen-Coßät genannt, 1787, 1795 und 1803 als Bauer. 2) Christoph Katzel, etwa um die gleiche Zeit geboren, als Land-Coßät 1787, 1795 und 1803 in Abtshagen genannt [5]. Später kamen noch ein Peter Pommerening aus Kugelwitz (Bauer 178/, 1795 und 1803) und ein Lüttschwager aus Abtshagen hinzu. Aus den Akten entnehmen wir, daß Ziemer und Katzel tatsächlich am 24.1.1796 (also im Winter!) bis zum König höchstpersönlich vorgelassen worden waren und sich bei dieser Audienz ganz gewaltig und bitter über den Generalpächter und seine Unterpächter beschwert hatten, so daß der König davon wohl sichtlich beeindruckt war. Denn schon am nächsten Tage, am 25.1.1796 ließ er das folgende Schreiben hinausgehen:

“ An den Geheimen Finantz Rath und Cammer Präsidenten v. Schütz: Ich habe die in der abschriftlichen Anlage enthaltene Beschwerde der zum Amte Rügenwalde gehörigen viertzig Gemeinen dem Etats Ministre Graf v. Blumenthal zur pflichtmäßigen Untersuchung zugefertigt. Da ich aber ausdrücklich verlange, daß meine Unterthanen keinen Anlaß zu gegründeten Klagen über ungebührliche Belästigungen und unstatthafte Dienst Beschwerden gegeben werden soll; so habe ich Euch hiedurch anweisen wollen Eure besonders Augenmerck auf diese Sache zu richten und dahin zu sehen, daß der Zweck der Untersuchung, nemlich daß die Klagen der Unterthanen nach Recht und Billigkeit abgeholfen werde, mit Beyseitesetzung aller Begünstigungen des Beamten und seiner Unterpächter erreicht werde. Ihr müßt gleichergestalt das Nötige dahin verfügen, daß die Klagenden Unterthanen auf keine Weise gedrückt, noch mit unzuläßigen Strafen belegt werden dürfen. Ich bin übrigens Eurer gnädiger König. Berlin, den 25 ten Januar 1796. Friedrich Wilhelm.“

Die Dienststelle in Stettin reagierte sofort und bestätigte den Eingang in einem Schreiben, das hier im Wortlaut wiedergegeben wird:
„Stettin, den 28 ten Januar 1796; abgegangen den 29 ten ejusd: Die Pommersche Krieges und Domainen.Cammer überschicket eine Cabinets.Ordre wegen der Dienst Beschwerden im Amte Rügenwalde. Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König, Allergnädigster Herr! Auf die von denen Unterthanen des Amts Rügenwalde über die bey denen dortigen Amts Vorwerckern zu leistende Dienste, unterem 25 ten huius immediate geführte Beschwerden haben Eur: Königlichen Majestät Höchst Selbst unterm 25 ten huius copeilich anliegende Cabinets.Ordre an mich den Geheimen Finantz Rath und Cammer Praesidenten von Schütz erlaßen. In der Sache selbst haben wir noch nichts verfügen mögen, weil wir vermuthen, daß wir nach Inhalt der allergnädigsten Cabinets.Ordre von Eur: Königlichen Majestät desfalls mit nähere Instruction werden versehen werden, ob wir gleich vorläufig allerunterthänigst anzeigen können, daß der Amts Rath Goede vermöge copeilich anliegenden Berichts vom 19 huius das von gedachten Unterthanen über ihre Dienst Beschwerden und Erbpachts Gesuch bei ihm übergebene Pro Memoria auf welchergestalt er sie darauf Beschieden in der abschriftlichen Anlage an uns eingesandt hat, wobey er zugleich angeführet, daß der Bauer Ziemer durch die Dorfs Aeltesten von jedem Bauern 12 Schillinge zu seiner und des Coßäten Katzel reise nach Berlin zusammen bringen laßen und mit selbigen nach Berlin gegangen um ihre resp. Beschwerde Anträge dorten anzubringen, auch zugleich darauf angetragen, den Ziemer und Katzel wenn sie dort ankämen arretiren und zur Bestrafung nach Rügenwalde transportiren zu laßen. Welchen Antrag wir auch Eur: Königlichen Majestät Allerhöchsten Gutfinden und Verfügung anheim zu stellen im Begrif waren, die jedoch nun, da diese beyden Rädelsführer wahrscheinlich schon wider von Berlin abgegangen sind nicht mehr faisable ist. Wir Bemercken hiebey noch allerunterthänigst, daß zwar bis Trinitatis dieses Jahres eine Veränderung derer Dienste unmöglich stattfinden kann, da aber so dann die Pacht Jahre des Beamten ablaufen, so wird es alsdann vielleicht eine Veränderung derer Dienste mit dem Anfange der neuen General Pacht zu veranstalten möglich seyn, wozu der Krieges. und Domainen.Rath Alberti als Departements.Rath auch bereits die neue Dienst Einrichtungs.Acta ein gereicht hat, welche wir zur allergnädigsten Revision einzusenden nicht ermangeln werden. Wir ersterben in tiefster Ehrfurcht Eur: Königlichen Majestät.“

Immerhin erfahren wir hieraus, daß der Generalpächter Goeden von der Reise der beiden „Rädelsführer“ wußte und vorsorglich seine vorgesetzte Dienststelle in Stettin bereits in einem Schreiben benachrichtigt und mit allerhand Einzelheiten versorgt hatte. Nun ist die Beschwerde an höchster Stelle angekommen, und der Verwaltungsapparat beginnt zu reagieren. Man sieht in erster Linie den Widerstand gegen die Staatsgewalt; man ist sich einig: das muß irgendwie bestraft werden. Aber zunächst kommt man der Anordnung des Königs nach, daß eine objektive Prüfung stattfinden muß. Die Domänenkammer, die unmittelbar vorgesetzte Behörde des Rügenwalder Amtes und damit des Generalpächters Goeden, schickt ihre Kammerräte Alberti und Loffhagen nach Rügenwalde, wo ihre Anwesenheit bereits am dreizehnten März 1796 erwähnt wird. Unmittelbares Ziel ist herauszufinden, was eigentlich los ist und, wie es offiziell heißt: „einen Aufstand der Bauern“ zu verhindern bzw. zu unterdrücken. Man informiert sich zunächst beim Generalpächter, der sämtliche Beschuldigungen vehement zurückweist und nur von Verleumdung und Aufwieglern spricht. Es wird sehr bald deutlich, daß ihm persönlich kaum etwas nachzuweisen ist, ja daß er absichtlich aus der SchußLinie genommen wird. Offensichtlich ist er in der Hierarchie sehr hoch angesiedelt. So richten sich die Hauptbeschwerden ausschließlich gehen die Unterpächter bzw. gegen das System selber. Mit dem Datum 14.5.1796 geht ein 42 seitiges Schreiben der Domänenkammer an den König ab. Man versucht, den Ernst der Lage herunter zu spielen. Im Prinzip sei alles in Ordnung. Die Hand- und Spanndienste seien für die Ackerwerke lebensnotwendig. Den Bauern müsse aber klar gemacht werden, daß sie sich nicht als Besitzer und Eigentümer ihrer Höfe betrachten dürften. Sie seien vom Staate hier nur eingesetzt und müßten dafür nebenher persönliche Dienste leisten. Wenn sie das nicht einsähen, müßten sie damit rechnen, daß die Höfe an andere vergeben würden. Die Unterpächter seien allerdings nicht in der Lage, über die Hand- und Spanndienste genau Buch zu führen. Diese Dienstpflichten müßten genauer gefaßt und bessere Kontrollmöglichkeiten eingeführt werden. Vielen weitere Monate verbrachte man damit, auf allen Ackerwerken, in allen Dörfern, bei allen Bauern und Kossäten die einzelnen Beschwerden und Klagen zu sammeln, zu notieren und die Pächter damit zu konfrontieren. Hierbei kam der Ärger und Frust von Jahrzehnten zu Tage. Schriftliche Beweise fehlten wohl in den überwiegenden Fällen, aber dem Übermaß der klagenden Zeugen gegenüber mußten die Pächter eine ganze Reihe von Fehlern und Übergriffen zugeben. Es muß ganze Berge von Protokollen gegeben haben, die allerdings im Archiv in Berlin nicht vorhanden sind. Anhand dieses umfangreichen Materials entwickelte man eine Strategie, wie man den Bauern im Amt begegnen wollte. Man dachte nicht daran, die Dienste abzuschaffen. Aber man wollte sie erleichtern, gerechter und überschaubarer machen. Dieses wollte man den Bauern zunächst in aller Form ankündigen und hoffte, sie damit erst einmal ruhig zu stellen, erwartete allerdings, daß sie ihr Einverständnis mit ihrer Unterschrift bestätigen würden. Diese Aktion wurde im Mai 1797 gestartet, und zwar vor den versammelten Vertretern der Bauern des Rügenwalder Amts. Es folgt das Original-Protokoll dieser Veranstaltung:

Die öffentliche Konfrontation “ Actum Amt Rügenwalde, den 26. Mai 1797. Präsent: der Kriegs und Dom. Rath Alberti und Loffhagen.
In Confirmitaet des von Eurer Cammer wegen der von denen 40 dienenden Dorfschaften des Amts Rügenwalde über Bedrückung von Natural Vorwerck und Burg Dienste immediats gefürte Beschwerden, wurde dato Terminus Publ. sub von gedachter Königl. Cammer auf 8. dieses Monats über bemeldete Immediat Beschwerden abgefaßten Bescheides auf heute angesetzet, und da außer dem Dorfe Jershagen die Schultzen nicht mit dienen, aus jedem übrigen der klagenden Doerfer ein Dorfs Aeltester und ein eigentlicher Wirth, aus dem Dorfe Jershagen hingegen der Schultze und ein Dorfs Aeltester zur Anhöhrung des Bescheides anhero gefordert, von selbigen erschienen hierauf aus dem Dorfe: …

Aus:
Baltische Studien – Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte
Neue Folge, Band 89/2003 (Band 135 der Gesamtreihe)
N. G. Elwert Verlag, Marburg/Lahn

Dr. Ulrich Neitzel